Einst bestand in den Familien die Hauptmahlzeit aus einem gemeinsamen Mittagessen, doch das ist heute deutlich seltener geworden. Viele Menschen, vor allem in der jüngeren Generation, nehmen ihre Mahlzeiten mittlerweile allein ein, dafür lassen sie Freunde und Kollegen an ihrem Essen virtuell teilhaben, auf Instergram, Facebook, TikTok und wie sie alle heißen. Durch Social Media wird so das Essen zu einer interaktiven, sozialen Handlung.
Es begann – wie so vieles in unserer schnelllebigen Zeit – mit einem simplen Foto, gepostet von einem jungen Menschen, der sein Frühstück nicht einfach essen, sondern inszenieren wollte: Ein Toast, bestrichen mit einer sorgfältig zerdrückten Avocado, garniert mit einem pochierten Ei und ein paar winzigen Chiliflocken, die mehr Deko als Würze waren. Dazu ein perfekt platziertes Messer, eine Kaffeetasse im Hintergrund und eine Hand, die aussah, als hätte sie noch nie eine Spülbürste angefasst. Dieses Bild erschien eines Tages auf Instagram, und plötzlich war das Frühstück nicht mehr, wie es einmal war. Avocado-Toast wurde zum Sinnbild von großen Teilen einer ganzen Generation, zur kulinarischen Selbstinszenierung. Supermärkte meldeten steigenden Avocado-Absatz, während sich ältere Menschen fragten, wieso das gute, alte Marmeladenbrot nicht mehr geliebt war.
Mit TikTok kam ein neues Kapitel. Da ging es nicht mehr darum, ein hübsches Foto zu posten, nein, das Essen musste gleichsam zelebriert werden. Nudeln durften nicht mehr einfach gekocht, sie mussten mit Theatralik in Szene gesetzt werden. Feta wurde nicht still und leise zerbröselt, sondern dramatisch in eine Auflaufform gelegt, flankiert von knallroten Tomaten und dann mit einem kräftigen Schuss hochwertigen Olivenöl in den Ofen geschoben. Eine Kamera schwenkte in Zeitlupe über die Mixtur, während eine poppige Hintergrundmusik den Vorgang begleitete.
Innerhalb weniger Tage hatte sich die Kochkreation rasend schnell verbreitet. Plötzlich standen Menschen, die vorher nur Fertigpizza aufgebacken hatten, vor dem Herd und verkündeten stolz im Netz: „Heute probiere ich den TikTok-Pasta-Trend.“ Und so zog sich ein neues Muster durch die Welt der Esskultur: Ein Trendvideo genügte, und Tausende vornehmlich junger Leute stellten ihre Einkaufslisten um.
Doch weil die Aufmerksamkeitsspanne der digitalen Welt kurz ist, bleibt es nie bei einem einzigen Trend, schnell folgt der nächste. Zum Beispiel die Wolkeneier-Challenge: Eier, die man zu fluffigen Gebilden schlägt, so dass sie aussehen wie kleine weiße Kissen mit goldener Mitte. Praktisch ist das natürlich nicht. Die fallen auf halbem Weg vom Backblech in sich zusammen. Aber die Likes, die irrsinnig vielen Klicks, die unterschiedlichen Reaktionen im Netz, sind es offenbar wert, an diesen Kreationen zu werkeln. Hier zeigt sich das eigentliche Prinzip digitaler Esskultur: Nicht das Gericht selbst ist entscheidend, sondern der Prozess. Ob es wirklich wunderbar schmeckt, ist zweitrangig. Hauptsache, es lässt sich – sagen wir mal innerhalb von einer Minute – im Bild ästhetisch einfangen. Darauf springen Menschen in aller Welt an.
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