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    Vitalstoffe

    Das Magazin für Mikronährstoffe und deren Wirkungen

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    Aktuelle Ausgabe
    Uwe Gröber

    Long-COVID: Zwischen Endotheliopathie mit Koagulopathie und mitochondrialer Dysfunktion

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  • In Deutschland hat sich die Impfquote seit Jahresbeginn erfreulich entwickelt, so dass ein Ende der kritischen Phase der Coronavirus-Pandemie absehbar scheint. Nach Schätzungen der WHO leidet etwa jeder zehnte COVID-19-Patient noch zwölf Wochen nach der Infektion unter lang anhaltenden Beschwerden, auch wenn er nicht in der Klinik behandelt werden musste. Dementsprechend kann die Infektion mit dem Multiorganvirus SARS-CoV-2 bei vielen Genesenen noch lange Schatten werfen. Selbst nach milden Verläufen kämpfen die Betroffenen noch Wochen und Monate mit persistierenden Beschwerden, die auch als Long-COVID oder Post-COVID- Syndrom bezeichnet werden. Extreme Erschöpfung (⇨ Post-COVID-Fatigue), Abgeschlagenheit und ausgeprägte Müdigkeit sowie kognitive Einbußen, Lungen- und Herzprobleme sind nur einige Symptome, die auf Long-COVID hinweisen können.

    Wissenschaftler schätzen zunehmend die mit COVID-19 assoziierte generalisierte Endothelentzündung, gepaart mit einer endothelialen Dysfunktion, als zentrale Noxe ein, die maßgeblich für postvirale Komplikationen wie Long-COVID verantwortlich sind. Auch Long-COVID imponiert insofern als Multisystemerkrankung mit endothelialer Dysfunktion, Mitochondriopathie und Dysregulation des Immunsystems.

     

    Mitochondrien: Target für SARS-CoV-2

    Nach der Endosymbiotentheorie sind Eukaryoten aus einer Endosymbiose prokaryotischer Vorläuferorganismen hervorgegangen. Dabei sind chemo- und phototrophe Bakterien von Urbakterien (Archaebakterien) aufgenommen worden, in denen sie sich zu Zellorganellen ihrer Wirtszellen entwickelt haben, darunter auch die Mitochondrien. Demnach sollen die Zellorganellen der Mitochondrien von Bakterien der Gattung Rickettsia abstammen.

    Reife Eizellen weisen mit 100.000 bis 600.000 (1 x 105 bis 6 x 105) die höchste Mitochondriendichte aller Körperzellen auf. Vor der Befruchtung befinden sich die Mitochondrien in einem Ruhestadium, um unmittelbar nach der Befruchtung den hohen Energiebedarf der schnell wachsenden Zellen zu decken. Mitochondrien sind aber nicht nur intrazelluläre Organellen, sondern es finden sich auch sehr viele zellfreie intakte Mitochondrien im Blutplasma. Vor kurzem konnte man erstmals nachweisen, dass sich in 1 ml Blutplasma von Gesunden zwischen 200.000 bis 3,7 Millionen Mitochondrien befinden. Diese Tatsache lässt nur erahnen, welches enorme Ausmaß eine Störung der mitochondrialen Funktion für den menschlichen Körper und den Immunmetabolismus hat.

    Neben der fundamentalen Bedeutung bei der zellulären Energiebereitstellung in Form von ATP sind Mitochondrien auch äußerst dynamische Zellorganellen, die intrazellulär Netzwerkstrukturen ausbilden und permanent morphologischen Veränderungen (z.B. Fission, Fusion) unterliegen. Diese Prozesse spielen u.a. eine zentrale Rolle bei der Regulation des Immunsystems, der Apoptose sowie der Vervielfältigung von Nukleinsäure-Molekülen (⇨ Reduplikation) (Tab.1).

     

    Die Vulnerabilität des mitochondrialen Genoms

    Das mitochondriale Genom ist etwa 10- mal anfälliger für Mutationen als das nukleäre Genom. Die mtDNA ist besonders vulnerabel für oxidative Schäden, bedingt durch die hohe Belastung mit ROS in den Mitochondrien und den ineffizienteren DNA-Reparaturmechanismen aufgrund fehlender Introns und schützender Histone. Oxidative Schäden an der mtDNA sind aus diesem Grund sehr viel stärker ausgeprägt als bei nukleärer DNA.

     

    SARS-CoV-2-induzierte mitochondriale Dysfunktion

    Für Wachstum und Ausübung ihrer Funktionen brauchen Immunzellen vor allem Energie. Seit den 1970er-Jahren ist beispielsweise die metabolische Reprogrammierung von Makrophagen während einer Immunreaktion bekannt. Aktivierte Makrophagen nutzen dabei die aerobe Glykolyse zur Bildung von ATP (Warburg-Effekt). Die mitochondriale Integrität spielt insofern eine zentrale Rolle im Rahmen der antiviralen Immunantwort sowie bei der Regulierung metabolischer Stoffwechselwege von Immunzellen. Über spezielle Mechanismen können Mitochondrien die metabolische Aktivität und Funktion von Zellen der angeborenen und adaptiven Immunantwort modulieren. Die angeborene Immunität und die damit assoziierten Entzündungsreaktionen werden vor allem durch die mitochondriale Dynamik reguliert. Eine mitochondriale Dysfunktion kann beispielsweise die Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms durch Immunzellen auslösen. Der durch SARS-CoV-2-induzierte Anstieg der mtROS-Bildung (⇨ mitochondriale Dysfunktion) wirkt pro-seneszent und pro-inflammatorisch mit seinen vielfältigen Einflüssen auf Endothelzellen und Organe. In Bezug auf virale Infektionen wie COVID-19 und seinen Langzeitfolgen werden verschiedene Mechanismen, die zur mitochondrialen Dysfunktion beitragen können, diskutiert.

    Eine Störung der mitochondrialen Aktivität in Zellen des Endothels dürfte eine zentrale Rolle sowohl in der Pathogenese von COVID-19 als auch von Long-COVID spielen. Modifikationen in der Morphologie und der Funktion der Mitochondrien führen zu zahlreichen Störungen und Erkrankungen. Aufmerksam wurde man auf diese Gruppe von Erkrankungen durch die Entdeckung von Myopathien mit morphologisch veränderten Mitochondrien.

    Mitochondriale Erkrankungen, die sogenannten Mitochondriopathien, stellen in der Regel heterogene Multisystemerkrankungen dar, die mit einer Störung der oxidativen Phosphorylierung assoziiert sind. Diese sind angeboren oder erworben. Ursächlich können sowohl Veränderungen in der mitochondrialen (mtDNA) wie auch der nukleären DNA sein. Charakteristische Symptome sind unter anderem endokrine, immunologische, metabolische, muskuläre, neurologische sowie kardiopulmonale und vaskuläre Beschwerden. Auch Riech-, Hör- und/oder Sehstörungen (z.B. Augenbewegungsstörungen) können auftreten. In der Regel sind mehrere Organsysteme betroffen, vor allem das Zentralnervensystem, die Sinnesorgane (z.B. Riechen), die Leber, die Nieren, das Pankreas sowie die Herz- und Skelettmuskulatur.

    Unter den mitochondrialen Erkrankungen ist die krankheitsbedingte Störung der oxidativen Phosphorylierung als potentieller Risikofaktor für einen schwereren Verlauf von COVID-19 zu diskutieren. Im Rahmen systemischer inflammatorischer Prozesse kann sich bei bereits beeinträchtigter Atmungskettenfunktion rasch eine metabolische Dekompensation entwickeln. Viren, wie SARS-CoV-2, können zentrale mitochondriale Funktionen beeinflussen und die Zellmaschinerie zugunsten viraler Proliferation manipulieren. Unter anderem sind Effekte auf Autophagie, Mitophagie und diverse Regulationsstörungen mitochondrialer Proteine beschrieben. Das SARS-CoV-2-Virus kann durch spezifische Gensequenzen (z.B. ORF9) eine mitochondrial getriggerte

    Störung der angeborenen Immunität sowie der antiviralen Signalwege und mitochondrialen Dynamik auslösen. Nach den Ergebnissen von bioinformatischen Analysen ist eine Down-Regulation mitochondrialer Proteine durch SARS- CoV-2 wahrscheinlich. Ob eine Störung der oxidativen Phosphorylierung generell eine Prädisposition für einen schweren Krankheitsverlauf bei COVID-19 und Long-COVID darstellt, ist bisher noch nicht geklärt.

     

    ACE2 und mtROS

    Das Coronavirus SARS-CoV-2 nutzt den auf der Zellmembran der Endothelien und Epithelien lokalisierten Rezeptor für das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2), um sich Zugang in die Wirtszelle zu verschaffen. Der ACE2- Rezeptor wird allerdings nicht nur von Epithelzellen des Respirationstraktes exprimiert, sondern auch von zahlreichen weiteren Organen, wie den Endothelzellen (EC) des Gefäßsystems, den Nieren, dem Gastrointestinaltrakt und dem zentralen Nervensystem (z.B. Gehirn). Das Gefäßendothel ist bekanntlich das größte Organ des menschlichen Körpers und hat durch seine strategische Lage zwischen Blut und glatter Gefäßmuskelzellschicht neben der Synthese von Stickstoffmonoxid (NO) eine zentrale Rolle bei der Regulation des Gefäßtonus, des Blutdrucks, der Blutrheologie sowie der Thrombozytenaggregation.

    Nach der Bindung und Fusion von SARS-CoV-2 an die Zellmembran des Endothels erfolgt die Aufnahme in die betroffene Endothelzelle (EC) mittels Endozytose. Im Renin-Angiotensin- Aldosteron-System (RAAS) haben ACE und ACE2 unterschiedliche Funktionen. Während ACE die Bildung von Angiotensin II (Ang II) fördert, ist ACE2 ein negativer Regulator des RAAS und reduziert die Ang-II- Plasmaspiegel. Die Bindung des Coronavirus an den ACE2-Rezeptor führt zu einer Down-Regulation des ACE2, was dementsprechend einen Anstieg des vasokonstriktiven und gewebeschädigenden Angiotensin II (Ang II) über ACE auslöst (Abb.1a, 1b).

    Die Down-Regulation des Rezeptorproteins ACE2 scheint eine Schlüsselrolle in der COVID-19-Immunpathogenese zu spielen. In der Folge steigt der Spiegel von Angiotensin II (Ang II) an, welches an den Angiotensin II Type 1 Rezeptor (AT1R) bindet. Die Erhöhung der Ang- II-Konzentrationen und die Stimulierung des AT1R führen zu einer Abnahme der Stabilität des pulmonalen Endothels und zu einer Exazerbation des respiratorischen Distresses. Darüber ruft die Bindung an AT1R eine gesteigerte Bildung von pro-inflammatorischen Zytokinen sowie eine vermehrte Sekretion von Aldosteron mit verstärkter Kaliurese (⇨ Hypokaliämie) und Rückresorption von Natrium hervor. Dementsprechend konnte man im Vergleich zu Gesunden im Blutplasma von SARS-CoV-2-Infizierten deutlich erhöhte Spiegel an Angiotensin II nachweisen. AT1R gehört in die Superfamilie von an G-Protein gekoppelte Rezeptoren und wird von zahlreichen Organen exprimiert, wie glatte Gefäßmuskelzellen und Endothelzellen in Herz, Lunge, Nieren, Leber und ZNS. Als Effektorpeptid des RAAS kann Ang II auch multiple pathophysiologische Prozesse initiieren wie Vasokonstriktion, Hypertonie, Hypertrophie von Gefäß- und Herzmuskelzellen sowie die Freisetzung von Noradrenalin.

    Die Bindung von Ang II an AT1R mobilisiert eine Reihe von Signalwegen, welche unter anderen die pathophysiologischen Effekte von Ang II steuern. Dabei aktiviert Ang II über die Bindung an den AT1R auch die NADPH-Oxidase (NOX), die hauptsächlich für die Generierung von reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) verantwortlich ist.

    Bekanntlich induziert Stickstoffmonoxid (NO) eine Gefäßerweiterung. Allerdings wird NO bei hohen Konzentrationen von Superoxid-Radikalen (O2) in das toxische Peroxynitrit (ONOO) umgewandelt. Reaktive Stickstoffverbindungen (RNS) wie Peroxynitrit (ONOO) können Eisen-Schwefelhaltige Enzyme, wie die Isocitrat-Dehydrogenase (IDH), Aconitase und die Succinat-Dehydrogenase (SDH) aus dem Citratzyklus hemmen, deren Regulation maßgeblich an der immunologischen Antwort beteiligt ist. Unter stark pro-inflammatorischen Bedingungen kann die Produktion von ONOO-Ionen um das 106-fache ansteigen. ONOO-Ionen können zahlreiche Schäden insbesondere an der mitochondrialen DNA (mtDNA) sowie in der mitochondrialen Elektronentransportkette (ETK) mit mitochondrialer Dysfunktion auslösen. Oxidative und nitrosative Schäden in der ETK (z.B. Kplx I, III) steigern die Belastung mit mtROS und die Ausprägung der mitochondrialen Dysfunktion (mtROS = von Mitochondrien gebildete reaktive Sauerstoffspezies). Darüber hinaus führen mitochondriale Schäden zu einem Anstieg der intrazytoplasmatischen Spiegel an Kalzium (Ca2+) und zur Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine.

    Die häufig beobachtete Anosmie in der Frühphase der SARS-CoV-2-Infektionen, aber teilweise auch 60 Tage nach der Erstmanifestation, steht in Assoziation mit der Schädigung des Bulbus olfactorius. Dabei werden der Befall von olfaktorischen Epithelzellen sowie ein Zusammenhang mit der hohen Expression von ACE2-Rezeptoren auf diesen Zellen diskutiert. Der Bulbus olfactorius weist zudem bekanntlich eine hohe Mitochondriendichte auf und ist bei vielen Mitochondriopathien (z.B. Morbus Parkinson) gestört. Der Bulbus olfactorius bildet sozusagen die Eintrittspforte ins zentrale Nervensystem (ZNS) und könnte bei Infektionen mit SARS-CoV-2 die Entstehung einer enzephalitischen Entzündung und anderer Inflammationen begünstigen.

     

    Neue antivirale Strategien

    Die skizzierten Pathomechanismen der endothelialen und mitochondrialen Dysfunktion bilden die Rationale für neue antivirale Strategien, die den Einsatz von mitotropen und immunrelevanten Mikronährstoffen beinhalten, welche die mitochondriale Bioenergetik und die Biodiversität der Darmmikrobiota modulieren und dadurch die Resilienz gegen Viren steigern.

    Dazu gehören zum Beispiel Coenzym Q10 (Ubiquinol/Ubiquinon), Vitamin B2 (FADH), Eisen (FeS) und Vitamin B3 (NADH), die als Bestandteile der Atmungskettenkomplexe dazu beitragen können, den Elektronentransfer zwischen den Komplexen I-IV zu verbessern. Zudem sind diese mitotropen Mikronährstoffe antioxidativ wirksam und reduzieren die Belastung mit reaktiven Sauerstoff-Spezies (mtROS), die im Rahmen einer gestörten oxidativen Phosphorylierung gebildet werden. Darunter sind vor allem auch Antioxidanzien wie L-Glutathion, N-Acetylcystein, Alpha- Liponsäure oder Vitamin C von Bedeutung. Zur Verbesserung der häufig mit der mitochondrialen Dysfunktion assoziierten endothelialen Dysfunktion können für den Anstieg der NO-Verfügbarkeit auch NO-Donatoren wie L-Arginin und L-Citrullin eingesetzt werden. Auch die Steigerung der mitochondrialen Biogenese durch sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Curcumin, Epigallocatechin oder Resveratrol kann zur Verbesserung der mitochondrialen Bioenergetik beitragen.

    Neben der gezielten Supplementierung von immunrelevanten und mitotropen Mikronährstoffen kann sich eine fettreiche, aber kohlenhydratarme (z.B. auf 1 g pro kg Körpergewicht täglich reduzieren) Diät günstig auf die Funktion der Mitochondrien auswirken. Erkrankungen, die mit Endotheliopathien und/oder Mitochondriopathien assoziiert sind (z.B. Typ-2-Diabetes), scheinen die Ausprägung und Schwere des Krankheitsverlaufs von CO- VID-19, aber auch von Long-COVID zu verschlechtern. Während eine hohe Glucoseaufnahme das Wachstum von Viren unterstützt und bekanntlich die Insulinresistenz verschlechtert, hemmt die zu den Hexosen zählende Galactose die SARS-CoV-2-Replikation und verringert die Insulinresistenz. Auch die mitochondriale Atmung wird durch Galactose unter anderem über die vermehrte Aktivität von Cytochrom c und die Steigerung der oxidativen Phosphorylierung verbessert.

    Unter dem Aspekt der Lebensführung ist neben einer gesunden Ernährung ohne Mikronährstoffdefizite auch die regelmäßige körperliche Aktivität von Bedeutung. Sportmedizinische Aspekte haben demnach in der Therapie von mitochondrialen Störungen einen hohen Stellenwert. So kann medizinisch kontrolliertes Krafttraining die Aussprossung von Satelittenzellen (Muskelstammzellen) stimulieren und den Anteil an mutierter mtDNA reduzieren. Ausdauersport wiederum induziert die mitochondriale Proliferation und regt die mitochondriale Biogenese an.

     

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